Sinnvolle Förderung für rechenschwache Kinder bedeutet: Mathematik neu und kompetent zu unterrichten. Dafür braucht man keine Wundermethoden, sondern schlicht und einfach solide (Grundschul-)Didaktik. Es gibt keine punktuellen Wundermethoden, sondern man muss nocheinmal von vorne anfangen und das Wissensfundament solide neu aufbauen. – Teil 6 von Michael Gaidoschicks Reihe zum Thema „Wege und Irrwege in der Rechenförderung“.

Vom unserem Kollegen Prof. Dr. Michael Gaidoschik aus Österreich.

Forderung 2: Mit rechenschwachen Kindern muss ein mathematischer Neuaufbau unternommen werden – unter Beachtung der aktuellen fachdidaktischen Forschung

Mathematischer Neuaufbau heißt: Wenn die Denkanalyse ergibt, dass die Schwierigkeiten des Kindes im mathematischen Grundlagenbereich wurzeln: im Verständnis von Zahlen, Stellenwerten, Rechenoperationen – dann muss auch an dieser Wurzel gearbeitet werden. Da aber Mathematik über weite Strecken hierarchisch aufgebaut ist, folgt daraus nicht weniger als ein Neuaufbau des kindlichen mathematischen Denkens.

Wie das im Einzelnen geht– nun, ich hoffe, Sie haben nicht erwartet, dass Sie das in diesem kurzen Referat von mir hören. Um das nämlich auch nur für den Teilbereich „zählendes Rechnen“ halbwegs umfassend darzustellen, müssten wir uns schon ein paar Stündchen Zeit nehmen.

Sie müssen mir aber auch wirklich nicht böse sein, dass ich Ihnen hier Geheimnisse vorenthalten würde, denn: Was im Einzelnen getan werden kann, um mit Kindern auf welcher Stufe der Grundschulmathematik auch immer das nötige Verständnis zu erarbeiten – das ist gar kein Geheimnis. Es lässt sich nachlesen, es lässt sich studieren, eine ganze Reihe von Autoren (ich übrigens auch) hat dazu lesenswerte Bücher veröffentlicht. Es geht schlicht und einfach darum, sich jenes Wissen anzueignen, welches die Mathematik-Fachdidaktik heutzutage anzubieten hat. Das ist zeitaufwändig, keine Frage; da gibt’s durchaus auch ungeklärte oder unzureichend geklärte Bereiche; aber die Unterrichtswissenschaft entwickelt sich ja auch weiter, und wer versucht, auf ihrer Höhe zu bleiben, hat auch die bestmögliche Grundlage dafür, rechenschwachen Kinder zu helfen.

Also: Wer’s im Detail wissen will, muss Mathematik-Fachdidaktik der Grundschule pauken; das kann auch ich Ihnen nicht ersparen. Einige allgemeine Gesichtspunkte lassen sich aber auch in diesem Rahmen formulieren. Da wäre einmal

 

Forderung 3: Die Förderung muss auf Verständnis, auf Einsicht in mathematische Zusammenhänge abzielen

Nichts wäre in der Förderung rechenschwacher Kinder falscher als der Verzicht auf dieses Verständnis, etwa mit der Rechtfertigung: das Kind habe nun doch einmal bewiesen, dass es quantitative Zusammenhänge nicht verstehen kann, also gehe es darum, ihm Regeln, Rezepte zu geben und es zum Beispiel das kleine Einsundeins und kleine Einmaleins auswendig lernen zu lassen, damit es irgendwie doch mit Zahlen zurecht komme.

Erstens hat das Kind nur eines bewiesen: Dass es Mathematik so, wie sie ihm bisher geboten wurde, nicht versteht; bzw. nicht so versteht, wie wir das gerne hätten, denn das Kind hat sich ja sehr wohl sein eigenes Verständnis der Sache zurechtgereimt.

Zweitens: Verzichte ich in der Förderung auf Verständnis, dann verzichte ich auch darauf, das Kind in seinem mathematischen Denken zu fördern; denn Mathematik ist ohne Verständnis nun einmal nicht zu haben. Jetzt kann man natürlich sagen: Was soll’s, die Mathematik ist mir wurscht, Hauptsache, das Kind kann im Alltag mit Zahlen und Größen umgehen. Aber kann es das auf der Grundlage von unverstandenen Regeln?

Das Dritte wurde schon gesagt: Ohne Einsicht in quantitative Zusammenhänge ist es in der Regel auch um die Chancen des Auswendiglernens schlecht bestellt. Umgekehrt aber: Wenn ein Kind den Zusammenhang zwischen Wegnehmen und Dazugeben kapiert hat, dann wird es beispielsweise kein Problem haben, die Aufgaben 8 – 7 wie auch 9 – 8 wie auch 7 – 6 (im Wissen um 7 + 1 = 8, 8 + 1 = 9, 6 + 1 = 7) ohne Zählen zu lösen und auf dieser Grundlage auch zu automatisieren. Verständnis belastet nicht, es entlastet das Gedächtnis.
 

Dieser Artikel ist der sechste Teil einer Reihe. Sie finden alle Artikel der Reihe wahlweise unter den Schlagworten „Wege“ und „Irrwege“ oder über diese Links: