So analysieren Sie Rechtschreibfehler systematisch
Eine Fehleranalyse ist der Anfang jeder guten Förderung. Das gilt auch für das Rechtschreiben. Heute stellen wir auf Bitte unserer Leserin Babsi ein bewährtes System vor, mit dem Eltern, Lehrer und sogar ältere Schüler Rechtschreibfehler einfach untersuchen können. Das Ergebnis zeigt, welche Bereiche neu erarbeitet oder besser geübt werden müssen. Einen Auswertungsbogen für die eigene Analyse der Rechtschreibfehler können Sie sich unter dem vorstehenden Link kostenlos herunterladen. Tipps zur Verwendung finden Sie am Ende des Artikels.
Fehleranalyse ist keine ganz neue Erfindung: In den 70-iger Jahren entwickelte und veröffentlichte Rudolf Müller seinen Diagnostischen Rechtschreibtest (DRT), in dem zum ersten Mal nicht nur die Rechtschreibfehler gezählt (quantitative Analyse), sondern auch in unterschiedliche Fehlerkategorien eingeordnet (qualitative Analyse) wurden. Die Fehlerkategorien dieser qualitativen Analyse ergaben sich, indem er quasi den Prozess des Schriftspracherwerbs nachvollzog.
Laut-Zeichen-Verbindung und Wahrnehmungsfehler
Wenn Kinder schreiben lernen, müssen sie zunächst für jeden hörbaren Laut ein mögliches Zeichen setzen. Hat ein Kind dieses wichtige Prinzip unserer Schrift begriffen – in der Fachsprache nennt man das die Phonem-Graphem-Korrespondenz -, schreibt es z.B. „Fogel“ oder „bine“. Liest man das Geschriebene laut, erkennt man meist ohne Probleme, was das Kind gemeint hat; nämlich „Vogel“ und „Biene“. Das ist noch nicht orthographisch richtig, aber phonetisch, also dem Klang nach, sehr wohl.
Verstöße gegen dieses Prinzip nennt Müller Phonetische Fehler oder Wahrnehmungsfehler. Es sind Fehler, die man hören kann, wenn man das, was Kinder geschrieben haben, laut liest. Das wäre z.B. „Fokel“, „Foge“ oder „Bne“. Diese Fehler entstehen v.a., wenn Kinder beim Hören der Worte nicht alle Laute in ihrer Reihenfolge sicher heraushören. Sie können einzelne, oft sehr ähnlich klingende Laute nicht eindeutig voneinander trennen. Demzufolge unterscheidet Müller im Bereich der Wahrnehmungsfehler zwei Fehlerkategorien:
– Verstöße gegen die Wahrnehmungstrennschärfe (WT) = Vertauschen akustisch unterscheidbarer Buchstaben oder Buchstabengruppen. Ein Kind schreibt zum Beispiel „Vokel“ statt „Vogel“, „Winder“ statt „Winter“ oder „Sproche“ statt „Sprache“
– Verstöße gegen die Wortdurchgliederung (WD) = Auslassen, Hinzufügen oder falsche Reihenfolge von Buchstaben. Ein Kind schreibt „Storchl“ statt „Strolch“, „kalatscht“ statt „klatscht“ oder „taurig“ statt „traurig“.
Rechtschreibfehler und Konventionen
Beachtet ein Kind die Phonem-Graphem-Korrespondenz, kann es alle Wörter, die es hört, verschriften. Aber es richtet sich noch nicht nach den Rechtschreibregeln, die bestimmte Schreibweisen zulassen und andere verbieten (z.B. „heute“ aber nicht „hoite“). Im nächsten Schritt innerhalb des Schriftspracherwerbs lernt deshalb jedes Kind, diese konventionellen Festlegungen oder Rechtschreibregeln zu beachten. Hieraus ergeben sich für Rudolf Müller eine zweite Gruppe von Fehlerkategorien, die Regelfehler. Er beschränkt sich auf die wichtigsten Rechtschreibregeln und gelangt damit zu weiteren drei Fehlerkategorien:
– Verstöße gegen die Regel zur Groß- und Kleinschreibung (Regelfehlerart G) = ein groß zu schreibenden Wort wird klein geschrieben (z.B. Wörter am Satzanfang und Substantive) oder umgekehrt ein klein zu schreibendes groß.
– Verstöße gegen die Regel zur Dehnung und Dopplung (Regelfehler D) = ein lang klingender Vokal wird beim Schreiben nicht gedehnt, nach einem kurz gesprochenen Vokal wird der darauffolgende Konsonant nicht gedoppelt oder nach einem langen Vokal wird fälschlicherweise der Konsonant gedoppelt. Bei einem Dehnungsfehler schreibt ein Kind z.B. „Bine“ statt „Biene“ (Dehnung durch „ie“), „Feler“ statt „Fehler“ (Dehnung durch das sogenannte Dehnungs-h) oder „Wage“ statt „Waage“ (Dehnung durch Verdopplung des Vokals). Bei Dopplungsfehlern schreiben Kinder „schwimen“ statt „schwimmen“ oder „Rok“ statt „Rock“ (Ersatz für kk) oder „Siz“ statt „Sitz“ (Ersatz für zz).
Wichtig: Die Dehnungs- und Dopplungsregel können Kinder nur anwenden, wenn sie in ihrer auditiven Wahrnehmung zwischen langen und kurzen Vokalen unterschieden können; wenn sie hören, wann ein Vokal lang und wann er kurz gesprochen wird.
– Verstöße gegen die Ableitungsregel (Regelfehler A) = die richtige Schreibung hätte man ableiten können. Folgende häufig benutzbare Ableitungsmöglichkeiten gibt es:
Auslautverhärtung bei t/d, k/g und p/b: Ein Kind schreibt „Hunt“ statt „Hund“. Es schreibt das Wort so wie es klingt und gesprochen wird. Bildet es jedoch den Plural „Hunde“ kann es die richtige Schreibweise hören und davon ableiten.
„ä“ vs. „e“ oder „äu“ vs. „eu“: Kinder schreiben „Beume“ statt „Bäume“ oder „sterker“ statt „stärker“. Greift das Kind hier auf eine Grundform des Wortes zurück so z.B. auf „Baum“ oder „stark“, kann es sich auch hier die richtige Schreibung ableiten.
Diese fünf Fehlerkategorien bilden das Grundgerüst aller Kategoriensysteme zur Analyse von Rechtschreibfehlern. Mit ihrer Hilfe kann man einen Großteil aller Rechtschreibfehler erfassen und damit wichtige Ansatzpunkte für die Förderung zentraler Rechtschreibprobleme finden. Darüber hinaus gibt es natürlich noch eine Reihe weiterer Besonderheiten, die beim Rechtschreiben zu beachten sind. Die Müllerschen Fehlerkategorien lassen sich deshalb fast beliebig ausdifferenzieren und ergänzen, sodass umfangreichere Kategoriensysteme entstehen wie z.B. in den Deutschen Rechtschreibtests (DERET 1, 2, 3 …).
Zum Schluss sei noch auf eine weitere bedeutsame Fehlerart aus dem Kategoriensystem des DRT hingewiesen: die Merkfehler (M). Diese Fehler entstehen, wenn ein Kind Hauptmorpheme (wie z.B. „back“, „fahr“, „fall“ oder „viel“) und Anfangs- und Endmorpheme (wie z.B. „aus-“, „be-“, „ge-“, „er-“, „ver“ und „vor“) falsch schreibt. Diese Fehler lassen sich vermeiden, wenn man die immer gleiche Schreibweise dieser in vielen Wörtern vorkommenden Morpheme kennt und sich merkt.
Selbstkontrolle als Lernhilfe
Mit Hilfe dieses einfachen Systems von Fehlerarten können bereits Schüler der dritten und vierten Jahrgangsstufe eigene Texte und Texte von Mitschülern nach Fehlern durchsuchen und korrigieren; eine Möglichkeit, um eine hilfreiche Fehlerkultur im Unterricht zu entwickeln.
Wenn man keinen standardisierten Rechtschreibtest verwenden kann oder möchte, lässt sich als Ausgangsbasis entweder ein längeres Diktat verwenden, oder man zieht die Schulhefte und Klassenarbeiten heran. Aus den Einträgen der jüngeren Zeit (ca. zwei – drei Monate) sucht man alle Fehler heraus und notiert sie im Auswertungsbogen. Die Kategorie mit den meisten Einträgen wird auch die am stärksten übungs- oder erklärungsbedürftige sein. Evt. bietet sich an, zur Motivation aber eine einfachere Kategorie mit weniger Fehlern als erstes zu üben (z.B. ver-/vor, St/sp), um erste Erfolg zu sichern. Einfach zu handhabendes Material für solche Übungen werden wir übrigens noch dieses Schuljahr hier im Blog anbieten!
Hallo Herr Breitenbach,
viiielen Dank für diesen tollen Artikel! Jetzt habe ich endlich die Zusammenhänge der lautgetreuen Schrift zu der orthographischen Schrift in ihren Stufen verstanden.
Dankbare Grüße einer Mama
Sabrina Kähler
Liebe Frau Kähler,
das lese ich gerne und freue mich über Ihr Lob.
Beste Grüße
Erwin Breitenbach
Ich habe bei Herrn Müller persönlich einen LRS-Kurs im Jahre 1983 besucht!
Seine Fehlerkategorien sind für das Verstehen von Rechtschreibschwierigkeiten schon sehr hilfreich, ich komme heute jedoch mit nachstehendem Satz weiter:
„Daß es sich da oder dort um einen Dehnungs- oder Doppelungsfehler oder um einen Wahrnehmungstrennschärfe-Fehler (WT) handelt, ist für den Schüler belanglos. Sobald die lautgetreue Rechtschreibung nicht zutrifft, braucht der Schüler ein Wissen um die Schreibweise, sei es, dass er das Wortbild gespeichert hat und es abrufen kann oder über die Ableitung (Mehrzahl, Steigerung, Verkleinerung, Wortstamm bzw. -familie, Morphem) sich die Schreibweise erarbeiten kann, d.h. entsprechende Fertigkeiten erlernt hat.“