Pflichtlektüre für besseren Deutschunterricht an der Grundschule
Selten liest man ein Buch und sagt: „Das müssten alle Lehrer wissen!“. Die gerade mal 116 Seiten „Deutsche Orthographie“ von Günther Thomé sind so ein Buch. Wieviele Erklärungen und Diskussionen zum Rechtschreibunterricht würden überflüssig, wenn man das darin enthaltene Wissen bei allen Grundschullehrkräften und Erzieherinnen voraussetzen könnte!
Kurz gesagt wird darin die meiner Meinung nach sinnvollste Arbeitsgrundlage für den Rechtschreibunterricht in der Grundschule und die Heranführung an Schrift im Kindergarten verständlich und fundiert dargestellt. Kern des Konzepts ist, knapp gesagt, folgender Forschungsstand aus sprachwissenschaftlicher Sicht:
Kinder hören Laute. Erwachsene kennen das Alphabet. Es ist aber ein Fehler, Kindern zum Schreibenlernen das Alphabet vorzusetzen. Denn: Wir bilden Laute nicht mit einzelnen Buchstaben ab, sondern mit Schreibzeichen (Graphemen), die aus 1-3 Buchstaben bestehen. Die Buchstaben sind das Material für die Schreibzeichen, aber die Schreibzeichen sind das Material, aus dem wir Wörter bilden. Sie sind daher wesentlich relevanter als die Buchstaben. Ergo müssen Kinder die Schreibzeichen lernen, nicht die Buchstaben.
Jedem einzelnen Laut unserer Sprache kann man mindestens ein Schreibzeichen zuordnen, es gibt also für jeden Laut ein Schreibzeichen, mit dem man ihn aufschreiben kann. Das weist Thomé (mit Heiner Jansen) anhand einer großen Auszählung nach. Manchmal gibt es mehrere Schreibzeichen für den gleichen Laut, z.B. ä und e wie in „Bälle“ und „bellen“. Thomé nennt das jeweils häufigste Schreibzeichen für einen Laut „Basisgraphem“ und die möglichen Alternativen „Orthographeme“.
Orthographeme machen nur 10% der Schreibzeichen in einem Text aus, aber sie bereiten den Schülern öfters Schwierigkeiten. Orthographeme haben durchaus einen Sinn, da sie das Lesen und die Informationsentnahme aus einem Text stark erleichtern: Sie liefern nämlich zusätzlich zur Basis-Information, welchen Laut man sprechen muss (Lautprinzip), eine weitere Information über das Wort. Wie sie das tun, das ist letztlich der Inhalt unserer Rechtschreibregeln.
Manche Orthographeme geben eine Information über den Wortstamm, z.B. „Bälle“: Man könnte gleichklingend auch „Belle“ schreiben, aber durch das „ä“ weiß man, dass hier die Mehrzahl von „Ball“ gemeint ist und das Wort sich davon ableitet (Stammprinzip). Gleichzeitig hilft die verschiedene Schreibung bei der Unterscheidung gleichklingender Wörter (Homophone), man muss sich nicht aus dem Zusammenhang erschließen, was gemeint ist (vgl. „Seite“ und „Saite“).
Ein kleiner Teil der Orthographeme ist weniger sinnvoll, sondern man muss vorerst damit leben, dass sie aus Tradition beibehalten werden (historisches Prinzip). So gehen Schreibungen mit „eih“ (Weihnachten) oder „ieh“ (Vieh) auf sehr alte Schreibungen dieser Wörter oder Morpheme zurück, deren Sinn uns heute nicht mehr geläufig ist. Ganz nutzlos ist im Deutschen der Buchstabe „v“ für den Laut „f“, da er ohne Schaden in den meisten Fällen durch „F“ ersetzt werden könnte; „Fater“ klingt nicht anders als „Vater“, aber man ist es eben anders gewöhnt. Nur bei Wörtern wie „fiel“ vs. „viel“ trägt das „v“ etwas zur Unterscheidung bei.
Thome erklärt eingangs ausführlich, was sich die ersten Drucker und Regler der deutschen Rechtschreibung bei ihrer Festlegung gedacht haben, wie unsere Schreibweisen durch die Verwendung des lateinischen Alphabets beeinflusst wurden und welchen Prinzipien unser Schriftsystem seit dem Phönizischen folgt. Wer verstehen möchte, warum wir schreiben wie wir schreiben, wird im ersten, historischen Abschnitt des Buches viele Aha-Erlebnisse haben.
Revolutionäre Folgen für den Schreibunterricht
Im Gegensatz zu sehr vielen Ansätzen aus der Schreibdidaktik liegt Thomés Betrachtung ein linguistisch zutreffendes Konzept zu Grunde, an dem man nicht vorbeikommt. Unsere Rechtschreibung basiert tatsächlich auf den Phänomenen, die er beschreibt. Deshalb ist sein Konzept eine hervorragende Basis für eine Didaktik des Rechtschreibens – wenn man sie verwendet, hat das aber Folgen für den Rechtschreibunterricht in der Grundschule, die einer kleinen Revolution gleichkommen. Ich fasse einmal zusammen, was sich in Kindergärten und Grundschulen alles ändern müsste, um in Zukunft besser, sachlich fundierter zu unterrichten:
1. Kurze Vokale endlich beachten
In völlig kindgemäßer Weise geht Thomé von den Lauten unserer Sprache aus. Schließlich ist die Sprache für Kinder, die eingeschult werden, eine komplett mündliche. Wenn man konsequent berücksichtigt, welche Laute mit welchen Schreibzeichen abgebildet werden, muss man diese Laute auch sauber unterscheiden. Und hier liegt ein extrem verbreiteter Fehler an deutschen Grundschulen: Während Lehrkräfte seit Jahrzehnten genau darauf achten, dass die Konsonanten nicht mit den Namen aus dem Alphabet bezeichnet werden, sondern mit ihrem Lautwert (also nicht „Em“ für „M“, sondern „mmm“, etc.), wird das bei den Vokalen sträflich vernachlässigt. Diese werden fast immer mit ihren Namen aus dem Alphabet bezeichnet, aber dieser Name ist nur der lange Klang des Vokals.
Das ist deshalb fatal, weil z.B. der häufigste Laut im Deutschen das „schwa“ [ə] ist, wie am Ende von „Hase“ (das Lautschrift-Alphabet sollte eigentlich jeder Lehrer beherrschen). Der aktuelle Unterricht gewöhnt Kindern an, immer ein gedehntes E zu sprechen, und das verlangsamt den Leselernprozess extrem, weil Kinder Wörter, die sie eigentlich schon kennen, dann völlig sinnentstellend lesen. Die „Ente“ sprechen z.B. Kindergartenkinder noch völlig korrekt, aber nach einem halben Jahr Schulunterricht lesen sie fälschlich „Eeeenteeee“ und erkennen das Wort nicht wieder, verstehen das Gelesene nicht.
Ein Schulunterricht, wie er aktuell praktiziert wird, verschlechtert nachweislich die korrekte Schreibung kurzer Vokale, weil diese eben gar nicht explizit gelehrt werden. So sagen nach 10 bzw. 19 Unterrichtswochen noch 9-19% der Kinder korrekt, dass die Wörter „Äste“, „Ente“ und „Elf“ mit [ɛ] beginnen und weitere 16-41% nennen den richtigen Laut, aber nicht kurz sondern lang: [ɛ:]. Nach 38 Unterrichtswochen gibt kein einziges Kind mehr korrekt das kurze [ɛ] als Antwort, und während anfangs nur 22-30% der Kinder glaubten, die genannten Wörter beginnen mit langem [e:], sind es nun zum Ende des Schuljahres 63-75%, die diese falsche Antwort geben. Thomé schreibt zutreffend: „Die Erstklässler lernen dazu, leider etwas Falsches.“ (Thomé, S. 92f.). Diese zunehmende Zahl an falschen Antworten wurde durch das dauernde Vorstellen des Buchstabens E als [e:] erzeugt.
Meiner persönlichen Erfahrung nach erhöht die Vernachlässigung der kurzen Vokale auch das Risiko für eine Lese-Rechtschreibschwäche, da die schwierigsten Rechtschreibregeln, nämlich die Verwendung des Dehnungs-h bei langen Vokalen und die Verwendung von Doppelkonsonanten nach kurzen Vokalen nur zu meistern sind, wenn man kurze und lange Vokale sauber unterscheiden kann, hörend und sprechend. Alle Legastheniker, mit denen ich therapeutisch arbeite und die Probleme mit diesen beiden Regeln haben, legen mir Fibeln und Hefte aus den ersten zwei Schuljahren vor, in denen diese Unterscheidung nicht sinnvoll gelehrt wurde, sondern teils falsch, teils gar nicht, und sie sind nicht in der Lage, die kurzen Vokale sauber zu sprechen.
Deshalb ist eines der drei Tiere, mit denen Günther und Dorothea Thomé ihre Übungen für Erstleser bestücken, ein HASE: Das „schwa“ [ə] am Wortende wird mit Wörtern wie Hase, Nase, Dose, Hose etc. von Anfang an korrekt geübt, und darauf ist unbedingt zu achten. Ein weiteres Tier ist der FROSCH, der Kindern erneut zeigt, dass der Klang des kurzen, halboffenen [ɔ] eben nicht dem Buchstabennamen, dem langen [o:] entspricht. Außerdem erinnert es die Kinder daran, dass Grapheme auch drei Buchstaben enthalten können wie das SCH.
2. Lange Vokale korrekt verschriften
Endlich müsste der Igel aus der Fibel verschwinden! Nach Thomés Konzept ist es absolut sinnvoll, mit den häufigsten Schreibweisen für jeden Laut anzufangen, also mit den Basisgraphemen. Die selteneren Varianten („Ausnahmen“), also die Orthographeme, sollten später gelehrt werden. Thome hat zu jedem einzelnen Laut aufgeschrieben, wie häufig die Basis- und (sofern vorhanden) Orthographeme sind, mit denen man den jeweiligen Laut aufschreibt (Übersicht auf S. 55-59).
Dort zeigt sich, dass das lange A, E, O und U zwar zu 85 – 96% mit dem jeweiligen Zeichen a, e, o und u geschrieben wird, das lange I [i:] aber in 72% aller Fälle mit dem Graphem „ie“ geschrieben wird. Der künstliche Wortschatz unserer Fibeln erzeugt ein völlig anderes Bild. Wörter, die eigentlich Ausnahmen sind wie der unselige „Igel“ und Namen wie „Lisa“ werden eingeführt und gewöhnen die Kinder daran, für den Laut [i:] das Zeichen „i“ zu schreiben. Selbst wenn ein Kind aber einfach immer für [i:] das Graphem „ie“ schriebe, hätte es die viel bessere Noten, denn in einem repräsentativen (nicht künstlich verzerrt ausgewählten!) Text hätte es damit nur etwa 1/4 der Wörter mit [i:] falsch geschrieben. Schreibt das Kind immer „i“ für den Laut [i:], schreibt es zwangsläufig 3/4 der Wörter mit langem [i:] falsch. Deshalb ist das dritte Tier in Thomés Anfänger-Übungen die BIENE: Hier üben die Kinder das lange [i:] mit „ie“ zu schreiben und wiederholen das „schwa“ [ə] am Wortende.
3. Weg mit der Anlauttabelle
Es ist hier nicht der Platz, ausführlich auf Sinn und Unsinn des Lesens mit Anlauttabelle einzugehen, das habe ich an anderer Stelle sowie hier und hier schon besprochen. Wenn man den Kindern, aus welchen Gründen auch immer (ein paar gute gibt es) eine Übersicht über die Laute und dazugehörigen Grapheme bieten will, dann darf das keine An-Laut-Tabelle sein, denn wichtige Laute und Schreibzeichen unserer Sprache kommen im Deutschen nie als Anlaut vor, sondern nur in der Wortmitte oder am Wortende. Das betrifft z.B. das bereits mehrfach erwähnte „schwa“ [ə] und das Zeichen „ie“ für [i:].
Einige existierende „Anlauttabellen“ sind inzwischen gar keine Anlauttabellen mehr, weil der beschriebene Umstand jemandem aufgefallen ist und ein paar Grapheme in die Tabelle aufgenommen wurden, die nie oder fast nie am Wortanfang erscheinen. Viele Tabellen enthalten z.B. das „ng“, das „ch“ und das „ck“, die gar keine Anlaute sind. Dies ist aber immer unsystematisch (warum ist das „ck“ in manchen enthalten, aber nicht das „tz“? Warum das „x“ aber nicht das dreimal so häufige „chs“ wie in „Fuchs“? etc.). Unsystematisch bedeutet in diesen Fällen: nicht durchdacht. Und Kinder verdienen ein durchdachtes Konzept, kein unausgegorenes.
Der ISB-Fachverlag der Thomés bietet als einziger verschiedene Poster und Übersichten in DinA4 Größe an, die vollständig und korrekt sind, d.h. die alle Schreibzeichen für die verschiedenen Laute enthalten. Die „lautrichtige Lesetabelle“ bietet, zusammen mit schönen Illustrationen, Erstlesern eine Übersicht der Basisgrapheme geordnet nach Häufigkeit, nicht so willkürlich wie in den meisten Fibeln. Poster fürs Klassenzimmer stellen alle Basis- und Orthographeme dar. Wenn man eine Übersicht verwenden möchte, z.B. auch zum Aufhängen im Klassenzimmer oder in der Kindergartengruppe, dann eine von diesen. (Um das gleich vorweg zu sagen: Nein, wir erhalten keine Bezahlung für diese Erwähnung – ich arbeite selbst in meiner privaten Vorschule mit diesem Material und nach diesen Prinzipien und zwar einfach deshalb, weil es richtig, richtig gut für die Kinder ist.)
Wie arbeitet man konkret mit Thomés Konzept?
Um nach dem Prinzip der Basis- und Orthographeme zu arbeiten, muss man sich merken, welche Grapheme die häufigsten sind. Das ist nicht schwierig. Nach dem Prinzip „vom häufigsten zum seltenen“ wird man mit den 40 Basisgraphemen und dazugehörigen Lauten beginnen. Als erste Wörter bieten sich solche an, die aus 4 Lauten (und damit 4 Graphemen) bestehen. Dabei ist auf Folgendes zu achten:
- Als Lehrkraft v.a. die kurzen Vokale immer korrekt hochdeutsch sprechen (sowohl Kinder mit Dialekt als auch nichtdeutscher Muttersprache sind darauf angewiesen)
- Das besonders häufige, aber auch schwierige E mit seinen drei Klängen [ə], [ɛ] und [e:] täglich üben.
- Konsonantenhäufungen gezielt einbauen. Das bedeutet: Silben wie La, Ma, Li, etc. und damit auch Figuren wie „Mimi“, „Ele“ etc. sind völlig ungeeignet für Fibeln, da sie nicht den Schreib- und Lautprinzipien des Deutschen entsprechen. Kinder aus anderen Sprachen müssen sich daran gewöhnen, dass im Deutschen sehr oft mehrere Konsonanten vor einem Vokal zu sprechen sind (Knopf, Glas, Gras…) und dies gezielt üben.
Umsetzung in Vorschule und Erster Klasse
Mit meinen Vorschülern setze ich als Beginn des Leseunterrichts (der nahtlos in die erste Klasse übergehen kann) das Konzept um, indem alle Kinder folgende Regeln in dieser Reihenfolge erarbeiten und üben:
Mit Buchstaben schreiben wir Wörter, mit Ziffern schreiben wir Zahlen. (Ziel: Trennen zwischen verschiedenen Ebenen des Bezeichnenden sowie Zeichen und Bezeichnetem, in Mathematik Basis für das spätere Verständnis des Dezimalsystems.)
Die Buchstaben im Alphabet haben Namen, die ihr oft im Kindergarten hört, aber Euch jetzt nicht merken müsst. Wenn ihr sie benutzt, sagt ihr „Herr Em“, „Herr Be“ etc. (Hintergrund: Fast alle Kinder kennen aus dem Kindergarten oder aus Kindermedien das leidige ABC-Lied; es nicht zu thematisieren, würde der Verwirrung Raum geben.)
Wir schreiben Buchstaben, aber wir sprechen und hören Laute. Der Herr Be macht „b“, der Herr Em macht „mmm“ etc.
Besonders wichtig sind die 5 Königsbuchstaben A, E, I, O und U. Sie können kurze und lange Laute machen. Der Herr A macht [a] und [a:], der Herr I macht [i] und [i:], der Herr O macht [ɔ] und [o:], der Herr U macht [u] und [u:]. Der Herr E ist besonders schwierig, denn so wie er drei Querstriche hat macht er auch drei Laute, zwei kurze und einen langen: [ə], [ɛ] und [e:]. (In Leseübungen schreibe ich unter die kurz zu sprechenden Vokale einen Punkt, unter die lang zu sprechenden einen Strich. Beim Sprechen der Regel gibt es begleitende Gesten, z.B. ein bewunderndes Oooooh und ein erbostes kurzes O!, sowie als Merkwort für die kurzen Laute des E die „Ente“.)
Um die Laute aufzuschreiben, die wir hören, brauchen wir Schreibzeichen. Jedes Schreibzeichen besteht aus 1, 2 oder 3 Buchstaben. Ein Wort hat genau so viele Schreibzeichen wie es Laute hat.
Zwei besonders wichtige Schreibzeichen sind am Wortende das „en“ und das „er“. Das „er“ finden wir bestimmt in den Nachnamen einiger Kinder der Klasse (Huber, Meier, Stiehler…), es kommt nämlich ganz oft vor und klingt fast wie „a“, aber man darf kein „a“ dafür schreiben. (Thomé würde strenggenommen diese beiden Schreibungen nicht als Grapheme betrachten, sondern ein unterdrücktes [ə] + n oder alleine sehen, aber nach meiner Erfahrung hat es sich bewährt, diese beiden häufigen Fehlerquellen für die Kinder unter „Schreibzeichen“ zu subsumieren.)
Ab dem 2. Halbjahr können dann die Orthographeme verbunden mit dem Stammprinzip und der Auslautverhärtung eingeführt werden, und ab der 2. Klasse wird wesentlich leichter verständlich, dass die Doppelkonsonanten nach der einfachen Regel „Du hörst einen kurzen Vokal und nur einen Konsonanten danach“ verwendet werden. Auch das Dehnungs-h kann leicht geübt werden, wenn lange Vokale klar erkannt werden und seine Rolle als Ausnahme zu einem schlichten Training der wenigen Wörter, die es enthalten, führt. Ach ja, das führt hier leider zu weit: Es verbietet sich nach dem Graphemprinzip, ein Dehnungs-h als „silbentrennendes h“ zu behandeln; nach diesem Prinzip gibt es praktisch kein silbentrennendes h und der Glaube, man könne es hören, ist i.d.R. eine Selbsttäuschung von Erwachsenen oder Schülern, die das jeweilige Wort bereits korrekt schreiben können. Wer es genauer nachlesen will, findet dieses Thema auf S. 51 und 116.
Werden Thomés Prinzipien im Erstleseunterricht beachtet, erleichtern sie das Rechtschreiben, aber auch das Lesenlernen ganz enorm. Mit älteren Legasthenikern muss ich sie in der Regel überhaupt erst erarbeiten, da sie trotz mehrerer Jahre Deutschunterricht unbekannt sind. Werden sie einmal verstanden, beschleunigen sie die Legasthenietherapie meiner Erfahrung nach ganz enorm. Und weil das so ist, komme ich zurück zu meiner anfänglichen Einschätzung: „Deutsche Orthographie“ ist ein Büchlein, dessen Inhalt jeder Grundschullehrer im Studium lernen, im Referendariat anzuwenden üben und im Beruf als täglich Brot verwenden sollte.
Ich habe das Buch auch gelesen und ebenfalls sehr positiv auf der-lesekoch.de rezensiert. Die Sache mit dem gedehnten e am Ende, z.B. bei Hase oder Ente, kann ich nur unterstreichen. Als ich mit der Leseförderung begonnen habe, ist mir das nicht aufgefallen. Aber seit 3 Jahren höre ich diesen Fehler immer öfter. Und m.E. wird die Betonung der Vokale lang oder kurz vernachlässigt. Und daran hängen halt viele Rechtschreibregeln. Ihrem Schlussappell schließe ich mich an.
Wertvoll, erleichternd und gut geschrieben! Danke für diese wohl dringend notwendigen Ausführungen! Ich selber arbeite mit dem IntraActPlus-Ansatz und erlebe die Erleichterung und Freude der Kinder, dank guter Selbststeuerung, Automatisierung und der darauffolgenden Lernfreude.
Sehr geehrte Frau Neugebauer,
vielen Dank für das Kompliment, das freut uns sehr! Es wäre schön, wenn Sie regelmäßig bei uns vorbeischauten.
Herzliche Grüße und weiterhin viel Freude und Erfolg bei der Arbeit,
Miriam Stiehler
Das mir Weihnachten verstehe ich nicht…
Weih- von die Wei-he [ˈvaɪ̯ə] ich weihe [ˈvaɪ̯ə]
oder auch
gedeih! oder ge-dei-he! von wir ge-dei-hen [ɡəˈdaɪ̯ən] oder ich ge-dei-he [ɡəˈdaɪ̯ə]
das ist noch mehr als nur Tradition so siht es für mich aus…
Ich kann das nur unterstreichen – und einstimmen in den Klagegesang über die zahlreichen falschen „Hilfs“materialien, die man zu Gesicht bekommt. Ich liebe es, wenn auf einem Bilderalphabet das S mit einer SCH-lange illustriert ist, und das E mit einem Eis. Den Kindern wird das Lesen- und Schreibenlernen unnötig erschwert, und in der LehrerInnenbildung fehlt das Bewusstsein dafür leider völlig.
Einen schönen guten Tag von einer verzweifelten Mutter. 🙂
Ich lese schön länger auf Ihrer Seite und konnte mir schon viele wertvolle Tipps holen. In der Grundschule gelte ich als Querulantin weil ich darauf bestanden habe, dass mein Sohn die Schulausgangsschrift statt der Vereinfachten Ausgangssschrift lernt und ich Wert darauf lege, dass er täglich 15 Minuten Schreibschrift und Einmaleins übt. Leider wird das gar nicht wohlwollend von der Lehrerin wahrgenommen. Ich gelte als überehrgeizig und zu streng. Nun, davon lasse ich mich nicht beirren aber ich merke, dass ich beim Lesen lernen irgendwie an meine Grenzen stoße. Mein Sohn ist nun seit 7 Monaten eingeschult und ich würde sagen, er liest „ganz ok“ aber viel zu langsam. Beim Lesen dieses Artikels fiel es mir nun wie Schuppen von den Augen, woran das liegt. Er zieht jeeeeeedeeeees eeeeeeeee künstlich in die Länge und bringt deswegen kein vernünftiges Wort heraus. 🙁 Ebenso wurde ihm beigebracht, den Finger zur Hilfe zu nehmen und leider verliert er bei den Zeilenübergängen oft die Orientierung.
Er ist sehr fleißig aber ich merke, dass ihn das Üben des Lesens ermüdet weil er keine merklichen Fortschritte erzielt. Einzelne Laute wie ei, eu, sch usw kann er jedoch schon gut erkennen.
Hätten Sie einen Vorschlag für mich, wie ich nun am Sinnvollsten mit ihm das Lesen übe? Reicht es, wenn wir täglich 15 Minuten laut lesen? Nochmal mit einer anderen Tabelle zu beginnen scheint mir nicht so sinnvoll weil er eigentlich alles schon ganz gut erkennt. Oder täusche ich mich dbzgl?
Über einen Rat würde ich mich sehr freuen! Vielen lieben Dank!
Ich empfinde diesen Artikel leider als zu einseitig – wie so viele „Klagelieder“ über falsche Didaktiken und Methoden in der Grundschule. Wir arbeiten seit Jahren mit den ZEBRA-Materialien des Klett-Verlags, und dort werden die oben beschriebenen Prinzipien vom ersten Schultag an beachtet, mit den Kindern thematisiert und systematisch geübt: Sowohl das schwa-e als auch die Endungen -er, -el, -en, die Laute -tz, -ck und -ng etc. Nur kann man natürlich mit Erstklässlern nicht alles auf einmal thematisieren, sondern es wird sukzessive ein Verständnis für die Schriftsprache aufgebaut!
Es ist schade, dass die Diskussion über die richtige Methodik oft so schwarz-weiß geführt wird. Besucht uns doch einfach mal in den Schulen und schließt nicht von den „Problem-Fällen“, die in euren Praxen ankommen, darauf, dass wohl die Methodik Schuld sein muss! Ja, es gibt schlechte Lehrwerke und schlecht durchdachte Materialien, aber wir Lehrerinnen sind durchaus in der Lage, diese zu erkennen und dann eben NICHT einzusetzen.
Unser Hauptproblem sind viel zu volle Klassen (29 Erstklässler!!), so dass wir mit den Kindern nicht so üben können, wie es eigentlich sinnvoll wäre! (Wie viel Zeit bleibt pro Kind bei 45 Minuten? Mal kurz nachgerechnet…)
Sehr geehrte Frau Johanning,
danke für Ihren Kommentar! Es ist ein harter Vorwurf, den Sie da erheben: Man würde nur von den Problemfällen, die in den Praxen ankommen, auf den Unterricht schließen. Selbst wenn das so wäre, könnte man das nur außer Acht lassen, wenn Legasthenie primär ein genetisches Problem wäre – und nicht, wie viele Forschungsergebnisse nahelegen, ein didaktogenes! Und auf die Eltern und die bösen Medien alleine kann man das auch nicht schieben. Es ist ja schön, wenn Sie Fibeln beurteilen können (da spare ich mir dann auch gern die kleinliche Bemerkung, dass tz, ck und ng keine Laute sind wie Sie schreiben sondern Grapheme). Aber wenn Kinder mit Schwierigkeiten zu mir in die Praxis kommen, schaue ich mir ihr gesamtes Lernmaterial an: Hefteinträge, Arbeitsblätter etc., und bitte immer die Lehrkraft, ob ich hospitieren darf, ob sie vielleicht bereit wäre, zumindest im Rahlen der Wochenplanarbeit gezielte Übungen für die Kinder bereitzustellen (die ich sogar liefern könnte), etc. Das Material und die Erklärungen, die ich da sehe, erhält ja immer die ganze Klasse, nicht nur das eine Kind mit dem Problem. Und vor diesem Hintergrund muss ich bei meinem Punkt bleiben: Zu viele Lehrkräfte legen eben nicht die ausreichende sprachwissenschaftliche Urteilsfähigkeit an den Tag, die man von ihnen erwarten können sollte.
Sie haben Recht damit, dass natürlich Beobachtungen aus der Praxis immer ein Stück weit lückenhaft sind. Lassen Sie mich aber einige der Bruchstücke erwähnen: Lehrkräfte, die auf Facebook fragen, was ein stimmhafter und stimmloser Laut ist. Lehrkräfte, die Aufgaben stellen wie „Wo hörst du hier das D, am Anfang, in der Mitte oder am Ende?“ und tatsächlich Wörter mit Auslautverhärtung wie HUND in diese Liste aufnehmen. Lehrkräfte, die sich zu fein sind, überhaupt eine Fehleranalyse aus der Legasthenie-Diagnostik zu lesen – ganz zu schweigen von der eigentlich zu erwartenden Fähigkeit, sie selbst zu erstellen und zur Basis der Invidualisierungsstunden und Hausaufgaben zu machen. Alles Einzelfälle? Dafür sind es zu viele. Viel zu viele. Untragbar viele.
Aber es gibt auch Studien, die weit über die Einzelfallbetrachtung hinausgehen. Zum Beispiel die nachgewiesene maßlose Selbstüberschätzung von Lehrkräften in der Diagnostik, die Erwin Breitenbach schon vor Jahren hier thematisiert hat https://www.praxis-foerderdiagnostik.de/diagnostische-inkompetenz-deutscher-lehrkraefte/, oder den Fakt, dass in der DDR maximal 1/3 so viele Legastheniker auftragen wie in Westdeutschland (nachzulesen in May, P.: Rechtschreiblernen in West und Ost. In: Niemeyer, W. (Hrsg.): Kommunikation undLese-Rechtschreibschwäche, Bochum 1995, S. 169 – 178), was man wohl kaum auf den Genpool schieben kann. Das liegt an der Methodik. Und kleine Klassen gab es in der DDR auch nicht – über 29 Schüler wurde dort nicht gejammert.
Last not least: Wenn das Niveau deutscher Lehrkräfte so hoch ist, warum gibt es dann überhaupt die Notwendigkeit, sie per Gesetz daran zu hindern, mit „Lesen durch Schreiben“ – Methoden zu arbeiten? Warum lassen sie nicht von selbst, einsichtig urteilend, die Finger davon?
Es tut mir leid – aber ich denke, der verengte Blick auf einen sehr selektiven Ausschnitt der Schulrealität liegt mindestens so sehr auf Ihrer Seite wie auf unserer. Trotzdem freue ich mich, dass Sie bei uns mitlesen und sich mit diesen Fragen befassen. Nur zum selben Schluss kommen wir beide im Moment wohl nicht.
Herzliche Grüße,
Dr. Miriam Stiehler