Unterrichtspraxis: So finden Sie heraus, ob Ihr Eingreifen störendes Verhalten bessert
Manchmal hat man den Eindruck, dass ein Schüler „ständig stört“ oder eine Schülerin „nie aufpasst“. Ein solcher Eindruck entsteht im pädagogischen Alltag, wenn man Personen unsystematisch, nicht gezielt, quasi nebenbei beobachtet. Pädagogisch sinnvoll ist es, diesen subjektiven Eindruck mit Hilfe einer systematischen Verhaltensbeobachtung zu überprüfen. Denn schließlich möchte man nicht nur feststellen, ob man einen Schüler zu negativ sieht – meist möchte man auch herausfinden, ob und welche Reaktionen auf das störende Verhalten wirklich zu einer Verbesserung führen. Außerdem fühlen sich Lehrer und Schüler besser, wenn der Lehrer schwierige Situationen bewusst und souverän managen kann. Deshalb zeigen wir heute, wie man in der Praxis die systematische Verhaltensbeobachtung anwendet.
Wie geht man nun dabei ganz konkret vor?
Als erstes muss man die störenden Verhaltensweisen möglichst genau beschreiben. Anschließend bittet man eine Kollegin oder einen Praktikanten, in ausgewählten Situationen mittels Strichliste oder Stoppuhr das tatsächliche Ausmaß des beschriebenen Verhaltens zu erfassen. Es wird z.B. notiert, wie oft ein Schüler pro Unterrichtsstunde einfach hereinruft, ohne sich zu melden, oder wie oft und wie lange er unkonzentriert aus dem Fenster schaut, statt zu arbeiten. Nun kennt man die Ausgangslage, die man verändern möchte. Für die nächsten Schritte gibt es mehrere Möglichkeiten.
Verhaltensketten erfassen: Auslöser verstehen, Konsequenzen klug wählen
In manchen Fällen hilft es bereits, die Auslöser und Folgen des problematischen Verhaltens zu beobachten und zu notieren. Diese Strategie stammt aus der Verhaltenstherapie und wird dort zur Verhaltensanalyse benutzt. Im ersten Schritt beschreibt man das Problemverhalten möglichst genau und legt die Beobachtungssituationen fest. In der konkreten Situation achtet dann der Beobachter weniger auf die Häufigkeit des Auftretens, sondern vor allem darauf, was in der Situation vor dem Auftreten des Problemverhaltens geschieht und was danach. Mithilfe der Vorlage in Abb. 1 kann man solche Verhaltensketten leicht erfassen. Ziel ist, auslösende und verstärkende Bedingungen für das Problemverhalten zu finden und anschließend diese Bedingungen zu verändern, um das problematische Verhalten zu bessern.
Sie haben das Problemverhalten bereits ausreichend analysiert und verstanden und eine Intervention zur Verhaltensänderung geplant? Dann ergibt sich nun die Frage ob die Intervention auch die gewünschte Verhaltensänderung bewirkt. Dies kann ebenfalls mit Hilfe einer systematischen Verhaltensbeobachtung festgestellt werden. Wir stellen heute vier Möglichkeiten vor, mit denen Sie gezielt den Erfolg Ihres pädagogischen Eingreifens überprüfen können. Der Aufwand lohnt sich, denn am Ende profitieren sowohl Schüler als auch Lehrer davon, wenn die Lehrkraft weiß, welches Eingreifen definitiv zu einer Verbesserung führt. Mit Hilfe unserer Vorschläge können Sie bewerten
- ob das problematische Verhalten wirklich seltener wird
- ob es wirklich durch Ihr Eingreifen seltener geworden ist oder es dafür andere Gründe geben muss
- welche von mehreren möglichen Reaktionen hilfreich sind
- und welche dieser Möglichkeiten die effektivste ist.
Nach Jain und Spieß (2012) hat man folgende praktische Möglichkeiten:
1) AB Plan: Wird das problematische Verhalten seltener?
Die erste und einfachste Möglichkeit der Evaluation einer pädagogischen Maßnahme mittels Verhaltensbeobachtung bietet der AB-Plan. In einer ersten Phase A wird die Verhaltensgrundrate oder Baseline erhoben. Über eine längere Zeit beobachtet man z.B. das störende Verhalten regelmäßig und notiert systematisch, wie häufig es auftritt. Anschließend beginnt Phase B: man setzt die zuvor geplante Intervention ein. Die systematische Verhaltensbeobachtung läuft während der Intervention weiter. In den Notizen zeigt sich nun, ob die gewünschte Verhaltensänderung eintritt – oder eben nicht. Diese Vorgehensweise ist am einfachsten durchzuführen. Allerdings kann man mit dieser Methode die Interventionswirkung nicht zweifelsfrei nachweisen. Man erfasst lediglich, wie selten das Verhalten während der Intervention auftritt, aber nicht, warum es seltener geworden ist. Man kann also nicht mit letzter Gewissheit die Verhaltensänderung auf die Intervention zurückführen. Andere nicht kontrollierte Einflüsse während der Interventionsphase könnten ebenfalls die beobachtete Veränderung bewirkt haben.
2) ABAB Plan: Wird das problematische Verhalten wirklich durch das pädagogische Eingreifen seltener?
Diesen Nachteil besitzt der ABAB-Plan nicht, obwohl er von seiner Grundstruktur dem AB-Plan gleicht. Die Grundratenerhebung (Phase A) wechselt sich mit der Interventionsphase (Phase B) mindestens zweimal ab. Im Beispiel (Abb. 2) möchte eine Lehrkraft erreichen, dass ein Schüler sich häufiger meldet. In Phase A1 wird die Grundrate der Meldehäufigkeit per Verhaltensbeobachtung erhoben, also notiert, wie oft der Schüler sich pro Stunde meldet. Darauf folgt die erste Interventionsphase B1, in der der Schüler für jedes Melden positiv verstärkt wird, z.B. durch Lob. Die weiterlaufende Verhaltensbeobachtung während B1 zeigt, dass sich der Schüler nun häufiger meldet. In Phase A2 wird der Schüler wieder wie in Phase A1 nur beobachtet und nicht gelobt, wenn er sich meldet. Er meldet sich nun wieder seltener. Das erneute Verstärken in Phase B2 führt wieder zu einer höheren Melderate, der Schüler beteiligt sich wieder häufiger am Unterricht, wenn er gelobt wird. Auf diese Weise hat die Lehrkraft nun zweifelsfrei nachgewiesen, dass ihre Verstärkung tatsächlich den Schüler dazu bewogen hat, sich häufiger zu melden.
3) KV-Plan: Wenn viele Wege nach Rom führen
Einen Kriterien-Veränderungs-Plan verwendet man dann, wenn eine Verhaltensumkehr nicht sinnvoll erscheint oder nicht möglich ist und wenn das Interventionsziel in Teilschritte zerlegt werden kann. Der Kriterien-Veränderungs-Plan hat zwei Vorteile. Erstens kann man sich dem Interventionsziel schrittweise nähern und zweitens kann man mehrfach überprüfen, ob die gewählte Förderung tatsächlich wirksam ist. In Abb. 3 ist die schrittweise Verbesserung des Konzentrationsvermögens in der Hausaufgabensituation durch nacheinander eingeführte Strukturierungsmaßnahmen zu sehen. In die Intervention ist sogar noch eine kleine Umkehrphase ohne zusätzliche Unterstützung beim Erledigen der Hausaufgaben eingebaut (b4), in der sich die Konzentrationsfähigkeit erwartungsgemäß wieder verschlechtert.
4) ALT-Plan: Welche Methode bringt mich schneller ans Ziel?
Der alternierende Plan ist als Evaluationsmethode dann angesagt, wenn zwei Interventionsmethoden zur Verfügung stehen und man sich nicht sicher ist, welche der beiden Methoden die wirksamere ist. Zunächst wird auch hier wieder die Verhaltensgrundrate erhoben. In der Interventionsphase werden die Maßnahmen abwechselnd eingesetzt. Abb. 4 zeigt zum Beispiel den alternierenden Einsatz von verbalem Lob und Süßigkeiten als positive Verstärker. Die Lehrkraft verstärkt das gewünschte Verhalten während eines Schultages mit Süßigkeiten und am nächsten mit verbalem Lob. Diesen täglichen Wechsel hält sie etwa 14 Tage durch. Dabei stellt sie durch die kontinuierliche systematische Verhaltensbeobachtung fest, dass ihr Lob deutlich effektiver ist als die Süßigkeiten: Bei der täglichen Zählung hat sich gezeigt, dass der Schüler sich häufiger an den Tagen gemeldet hat, an denen der dafür gelobt wurde, als an den Tagen, an denen er Süßigkeiten dafür bekam. Dieser Plan funktioniert übrigens als einziger auch ohne Grundratenerhebung und eignet sich damit für pädagogische Maßnahmen, die schnell einsetzen müssen.
Motivierend für Schüler und Lehrer
Die systematische Verhaltensbeobachtung ist, wie durch diese Einsatzmöglichkeiten gezeigt wurde, eine perfekte Methode, um zu überprüfen, ob das eigene pädagogische Handeln von Erfolg gekrönt ist. Vor allem im Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten ist dieses Vorgehen äußerst hilfreich und besser als z.B. pauschale Notizen nach jeder Unterrichtsstunde. In solchen Notizen verwenden Pädagogen gerne unscharfe Ausdrücke wie „häufig“, „sehr“, „durchaus“, „dauernd“ und ähnliches. Dabei kann leicht die persönliche Frustration den Eindruck verzerren, und es ist schwierig, zu einer nüchternen und unvoreingenommenen Einschätzung zu gelangen. Durch systematische Beobachtung, das Zählen oder Messen (wie oft, wieviele Minuten lang) und die gezielte Bewertung des erzieherischen Eingreifens gelangt man nicht nur zu einem faireren, objektiveren Urteil über den Schüler und sein Verhalten. Als Lehrkraft kann man sich so außerdem besser darauf fokussieren, das Fehlende aufzubauen und wird sich der eigenen Selbstwirksamkeit viel klarer bewusst. Dies motiviert wiederum und erzeugt berechtigte Freude darüber, nachweislich das Schülerverhalten verbessert zu haben. So geht es nicht nur dem Schüler, sondern auch der Lehrkraft durch die strukturierte Verhaltensbeobachtung am Ende besser.
Literatur
Breitenbach, E. (2014). Psychologie in der Heil-und Sonderpädagogik. Stuttgart: Kohlhammer.
Faßnacht, G. (2007). Systematische Verhaltensbeobachtung. Stuttgart: UTB.
Jain, A. und R. Spieß. (2012). Versuchspläne der experimentellen Einzelforschung. Empirische Sonderpädagogik, 211–245.