Lernverlaufsdiagnostik oder Curriculumbasiertes Messen
Die deutschen Lehrerinnen und Lehrer sind keine guten Förderdiagnostiker. Sie sind nicht ausreichend genug informiert über die Lernverläufe ihrer Schüler. Sie erkennen zu spät oder gar nicht, wenn ein Kind im Lernprozess zurückbleibt, wenn es etwas Wichtiges nicht lernt oder gar etwas Falsches. Und weil ihnen dieses Wissen fehlt, sind sie auch nicht in der Lage, frühzeitig unterstützend, kompensierend und korrigierend einzugreifen. So lauten die Schlussfolgerungen, die von den Autoren der PISA-Studien aus ihren international vergleichenden Daten gezogen werden.
Dies ist umso bedauerlicher, als schon lange bekannt ist, dass eine frühe Intervention, noch bevor sich eine deutliche Lernbeeinträchtigung manifestiert hat, am effektivsten ist und oft diese Lernbeeinträchtigung erst gar nicht entstehen lässt. Hinzu kommt, dass ein kontinuierliches Überwachen der Lernprozesse zumindest für das Erstlesen und Erstrechnen mittlerweile auch ohne großen Aufwand zu bewerkstelligen ist. Es existieren dazu bereits einfach zu handhabende, qualitativ hochwertige und vom Preis her durchaus erschwingliche diagnostische Instrumente.
Dieses regelmäßige, wiederholte Erfassen des Lehr-Lern-Erfolges firmiert unter dem Begriff des Curriculumbasierten Messens (CBM). Die Leistungsveränderung im Verlauf der Zeit wird ökonomisch, also zügige und ohne großen Aufwand erfasst und dokumentiert. Möglich wird derartiges „Messen“ nur, wenn ausreichend viele Aufgaben zur Verfügung stehen, sodass in festgelegten Zeitabständen immer wieder die entsprechende Kompetenz geprüft werden kann. Die Aufgaben müssen zwar immer neu sein, aber immer auch die gleiche Leistung erfassen und den gleichen Schwierigkeitsgrad aufweisen.
Auf zwei Wegen gelingt dies:
- Für den ersten Weg benötigt man Aufgaben, die für die geforderte Gesamtleistung repräsentativ sind. Das laute Lesen ist zum Beispiel ein solch robuster Indikator, der als Gesamtmaß für das Lesen gelten kann. Die Anzahl der richtig gelesen Wörter pro Minute korreliert sehr gut mit den Ergebnissen in Lesetests. Es wird deshalb den Lehrkräften vorgeschlagen, einen längeren Text zum Beispiel ein Buch auszuwählen, das sprachlich dem Leistungsniveau der Kinder entspricht, jedes Kind daraus eine Minute laut vorlesen zu lassen und jeweils die Anzahl der in dieser Zeit richtig und falsch gelesenen Wörter zu registrieren. Im deutschsprachigen Raum liegt diesbezüglich mit der Lernfortschrittsdiagnostik Lesen (LDL) von J. Walter ein auf seine Güte hin geprüftes entsprechendes Messverfahren vor, das hier über die Testzentrale des Hogrefe-Verlages zu beziehen ist.
- Im Fach Mathematik konnte man bisher aufgrund der Heterogenität und Komplexität des Gegenstandes keinen allgemeinen robusten Indikator finden. Deshalb wird hier als ein zweiter Weg zur Konstruktion von Aufgaben das systematische Zusammenstellen von Aufgabengruppen empfohlen, die all diejenigen Teilfertigkeiten repräsentieren, die am Ende eines Lernprozesses oder eines Schuljahres beherrscht werden sollen. Im Mathematikunterricht der Grundschule sind ab der zweiten Klasse beispielsweise Aufgaben zur Addition mit und ohne Zehnerübergang, Subtraktion mit und ohne Zehnerübergang, Multiplikation, Division und zum Umgang mit Größen gefordert. Es lassen sich also dementsprechend sieben Aufgabenklassen oder Teilmengen definiert, die mit jeweils vier Einzelaufgaben eine bestimmte Teilfertigkeit im Fach Mathematik erfassen. Die Lehrkraft setzt in eine für jede Aufgabegruppe vorgegebene Generierungsvorschrift immer neue Zahlen ein und erhält so beliebig viele Paralleltests mit jeweils 28 Testaufgaben (7 Aufgabentypen mal 4 Einzelaufgaben), die die gleiche Leistung fordern und im Schwierigkeitsgrad übereinstimmen. Das Herstellen solch immer wieder neuer Aufgabenblätter zur wiederholten Messung der Grundrechenarten und die Dokumentation der Rechenleistungen übernimmt ein ebenfalls von der Testzentrale des Hogrefe-Verlags angebotenes Computerprogramm: „Die Lernverlaufsdiagnostik – Mathematik für zweite bis vierte Klassen (LVD-M 2-4)“ von A.M. Strathmann und K. J. Klauer.
Weiterführende Literatur:
Breitenbach, Erwin (2014): Psychologie in der Heil- und Sonderpädagogik. Stuttgart: Kohlhammer
Klauer, Karl, Josef (2011): Lernverlaufsdiagnostik – Konzept, Schwierigkeiten und Möglichkeiten. In: Empirische Sonderpädagogik, 3, S. 207-224
Strathmann, A.M. und Klauer, K. J (2012): LVD-M 2-4 – Lernverlaufsdiagnostik – Mathematik für zweite bis vierte Klassen. Hogrefe Schultests. Hrsg. von M. Hasselhorn, W. Schneider, U. Trautwein (Preis: 198 €)
Walter, J. (2009): LDL – Lernfortschrittsdiagnostik Lesen. Ein curriculumbasiertes Verfahren. Hogrefe Schultests. Hrsg. von M. Hasselhorn, W. Schneider, U. Trautwein (Preis: 108,00 €)