Housegemachte Diagnostik 3: Mut zur Autorität
Pädagogen sind ganz große Tänzer. Eiertänzer. Denn klare Ansagen sind ungewohnt, sogar verpöhnt. Das geht soweit, dass kürzlich in der Interpretation einer Studie, die klar den Vorteil autoritativer Führung besonders für Buben zeigte, den Jungs ein psychisches Problem unterstellt wurde: Sie sind nicht weiblich genug (d.h. heute: minderwertig) und haben eine Störung, wenn sie sich mit dem ewigen „kooperativen“ Ausdiskutieren verloren und unwohl führen, das viele meiner Kolleginnen im Schuldienst so gerne praktizieren. Schöne neue Welt in der totalitären Östrogen-Herrschaft – bei Dr. House hätten sie zumindest dieses Problem nicht… Daher: zurück ins Krankenhaus.
Am Ende der ersten Besprechung wählt Dr. House in der Regel alleine eine Hypothese aus, zu der niemand eine stichhaltige Widerlegung vorbringen konnte. Sie hat der Kritik bislang am besten standgehalten.
Auch hier liegt ein Unterschied zu meinen Erfahrungen mit dem Führungsstil in sozialen Einrichtungen: Dr. House schätzt die Kompetenz seines Teams und weiß genau um die Stärken jedes Einzelnen, aber er übernimmt selbstverständlich die eindeutige Führungsaufgabe und Verantwortung, den nächsten Schritt zu entscheiden. Das kann er tun, weil er fachlich noch besser ist als seine Mitarbeiter, die das auch anerkennen. Ein Problem vieler sozialer Einrichtungen ist, ähnlich wie in der dort praktizierten Erziehung, das Fehlen eines autoritativen Führungsstils, der Verantwortlichkeiten eindeutig klärt. Klare Anweisungen zu geben oder zu befolgen, Autorität auszuüben und sich ihr unterzuordnen, ist heute in vielen sozialen Einrichtungen tabu, da generell alle Prozesse als gleichberechtigter Diskurs missverstanden werden. Dabei werden in Wirklichkeit gerade die Vorgesetzten, die Autorität selbstbewusst ausüben, von engagierten und professionellen Mitarbeitern als haltgebende und verlässliche Persönlichkeiten geschätzt (zumindest, solange sie nicht aus Eifersucht die Hauswand von Kolleginnen mit dem Auto durchbrechen wie House…).
Bei Dr. House wird nun auf Basis der ausgewählten Hypothese erstmals etwas konkret mit dem Patienten unternommen, und zwar entweder eine weitere Untersuchung oder eine Medikation. Beides stellt den Versuch dar, die aufgestellte Hypothese zu widerlegen oder durch eine Bestätigung zu erhärten.
Eine spezifische weitere Untersuchung hat daher das Ziel, notwendige Implikationen der Hypothese zu finden, z.B. das Vorhandensein von bestimmten Antikörpern, Krebszellen etc., die dann entweder stimmig zur Hypothese sind oder sie widerlegen. Eine evt. Behandlung erfolgt nach dem Prinzip: Wenn die Medikation die beobachtbaren Symptome im weiteren Sinne (inkl. Vorhandensein von Tumoren etc.) zum Verschwinden bringt und der Patient beschwerdefrei wird, gilt die zugrundeliegende Hypothese als richtig.
Aus dramaturgischen Gründen (und auch der diagnostischen Realität gemäß) ist selten die erste Hypothese die treffende. Das ist nur in den Nebenschauplätzen der Serie der Fall, die in der Ambulanz spielen, aber nicht bei den Protagonisten, die in Dr. Houses Spezialabteilung behandelt werden.
Es folgt eine Kombination der folgenden Vorgänge:
- Neue Symptome treten auf und machen die ursprüngliche Erklärungs-Hypothese unhaltbar, da sie von ihr nicht mehr erklärt werden können. (Sehr beliebt: Die Patienten haben einen cerebralen Anfall, spucken Blut oder husten gleich ein ganzes Stück ihrer Lunge heraus.)
Eine Untersuchung bringt nicht die Ergebnisse, die notwendig gewesen wären, um die Hypothese zu erhärten. Sie wird daher aufgegeben und von einer anderen Hypothese abgelöst. (Wie die ebenfalls beliebte Lumbalpunktion, mit ausführlicher Gelegenheit, die lange Nadel und die ruhigen Hände von Dr. Chase zu bewundern.) - Eine Behandlung bringt keine Heilung bzw. weitere Komplikationen und unerwünschte Wirkungen und widerlegt daher die ihr zugrundeliegende Hypothese, die wiederum aufgegeben wird. (Pro Folge gibt es einen hohen Verbrauch an Antibiotika, Antimykotika, Beta-Blockern uvm., die gerne auch gleichzeitig verabreicht werden.)
- Eine bisher als möglich, aber unwahrscheinlich betrachtete, meist vage Hypothese (z.B. „Vergiftung“) bestätigt sich, da House sie hartnäckig verfolgt und durch Untersuchung der Wohnung oder Erforschung der Lebensverhältnisse den entscheidenden, spezifischen Einfluss findet (z.B. „Vergiftung durch Einatmen großer Mengen Krankheitserreger in von Vogelkot verunreinigtem Sprühwasser aus illegalem Hanf-Anbau“).
- Eine unscharfe, bisher als unzutreffend betrachtete Hypothese wird schärfer gefasst und neu erwogen (z.B. „Die Krankheit tritt in der Regel nur bei Kindern auf, kann aber unter den hier nachweislich vorliegenden Umständen x und y auch den erwachsenen Patienten befallen haben.“).
House gibt alles, konsumiert pro Folge das Zehnfache der angemessenen Dosis Vicodin, heckt gegenüber seinen Kollegen Wilson oder Cuddy nebenbei Streiche aus, und nachdem noch ein Teammitglied schwere Verwicklungen in seinem Privatleben erlitten hat, ist der Fall in der Regel mit Heilung in letzter Sekunde gelöst. Etwa gegen 7 Minuten vor Ende einer Folge kann man sicher sein, dass die nun gestellte Diagnose endlich die zutreffende ist.
Dieser Artikel ist Teil eine Serie. Die weiteren Teile dieser kleinen Reihe über Dr. House für Pädagogen finden Sie hier:
- Housegemachte Diagnostik 1: Hart, aber nüchtern
- Housegemachte Diagnostik 2: Widerspruch ist keine Beleidigung
- Housegemachte Diagnostik 4: Gute Arbeit braucht emotionale Distanz
- Housegemachte Diagnostik 5: Guter Rat muss auch befolgt werden
Sie finden alle Teile der Serie über das Schlagwort „House“ bzw. indem Sie „House“ ins Suchfeld eingeben.
Bild-Credit: By Kristin Dos Santos (Hugh Laurie) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons