Das Kind hat Ihnen vorgelesen, Sie haben eine Strichliste oder eine markierte Kopie und vielleicht sogar ein Video. Was für Informationen haben Sie nun gewonnen?

Am einfachsten ist, wie so oft, die quantitative Auswertung der erreichten Leistung. Dazu nehmen Sie Ihre Strichliste oder Textkopie und zählen für jede der drei Minuten die gelesenen Wörter. Notieren Sie die Werte für jede Minute getrennt.

Wenn ein Wert deutlich kleiner oder größer ist, sehen Sie auf dem Video oder in Ihren Notizen und im Text nach, woran das lag. Gab es besonders schwierige Wörter in diesem Abschnitt, die das Kind verlangsamt haben? Oder kamen viele sehr häufige und kurze Wörter vor, die es ihm ermöglichten, einen gewissen Abschnitt schneller zu lesen? Mit solchen Betrachtungen begeben Sie sich schon ein wenig in die qualitative Auswertung hinein, also nicht nur in das Zählen der Fehler, sondern in die Frage, wie ein Fehler oder ein abweichender Wert zustande kam.

Das Ergebnis Ihrer Zählung kann beispielsweise so aussehen:

  • Minute 1 – 32 Wörter
  • Minute 2 – 25 Wörter (zwei schwierige lange Wörter)
  • Minute 3 – 33 Wörter

Sie zählen nun die Werte zusammen: 32 + 25 + 33 = 90 und teilen die Summe durch 3 (z.B. 90 : 3 = 30). Das Kind hat also im Durchschnitt 30 Wörter pro Minute gelesen. Die Wörter pro Minute werden mit WPM abgekürzt.

Haben Sie sorgfältig zwischen falsch und richtig gelesenen Wörtern unterschieden? Dann können Sie an dieser Stelle zwei Werte bilden, einmal für alle gelesenen Wörter und einmal nur für die richtig gelesenen Wörter. Das letztere sind dann die RWPM, die richtigen Wörter pro Minute. Wenn die Diskrepanz sehr groß ist, weist das darauf hin, dass das Kind aus irgendeinem Grund ungenau liest. Das kann dem Fehlerprofil 2 wie im ILea Handbuch zuzuordnen sein, kann an Schwierigkeiten mit bestimmten Buchstaben liegen oder an subjektiv empfundenem Druck oder…. damit befassen wir uns ein anderes Mal.

Und wie machen Sie das beim leisen Lesen? Im Prinzip ähnlich. Eine Kopie oder eine Strichliste brauchen Sie hier nicht. Sie müssen nur aufpassen, ob das Kind wirklich liest, während die Zeit läuft. Wenn Sie viel Übung haben, können Sie versuchen, die Blickbewegungen des Kindes zu filmen und auch zu beobachten, ob es die Lippen mitbewegt. Beides ist als Hinweis auf ungute Lesegewohnheiten interessant (siehe Artikel hierzu).

Ansonsten gehen Sie folgendermaßen vor: Das Kind erhält einen Text und wieder die Ansage, ihn möglichst schnell zu lesen. Es soll auf den Inhalt gut acht geben, da Sie es hinterher danach fragen werden. Markieren Sie die Start-Stelle im Text. Sagen Sie dem Kind, dass es bei „Los!“ an der Markierung beginnen soll. Wenn Sie „Stop!“ sagen, soll es den Finger auf das Wort legen, bei dem es gerade ist.
Auf „Los!“ starten Sie wieder die Stoppuhr und das Kind beginnt zu lesen. Nach drei Minuten sagen Sie „Stop!“ und markieren mit Bleistift das Wort, auf welches das Kind zeigt.

Wenn das Kind sehr langsam gelesen hat, können Sie die Wörter komplett auszählen. Wenn das Kind schnell war, ist das unnötig viel Aufwand. In diesem Fall zählen Sie nur 10 (vollständige!) Zeilen des Buches aus und teilen die Wörterzahl durch 10. In den meisten Büchern sind das ca. 8-10 Wörter pro Zeile. Angenommen, in Ihrem Buch waren es 8 Wörter pro Zeile: Dann zählen Sie nun nur noch die gelesenen Zeilen (halbe Zeilen auch nur halb zählen) und nehmen diese Zahl x 8. Wenn das Kind z.B. in den drei Minuten 57 Zeilen gelesen hat, rechnen Sie nun 57 x 8 = 456. Das Kind hat in drei Minuten also 456 Wörter gelesen. Das müssen Sie noch durch 3 teilen: 456 : 3 = 152. Das Kind liest also still 152 WPM. Gratulation – damit es es grundsätzlich in der Lage, Fragen zum Text zu beantworten, denn das reine Erlesen kostet es nur noch sehr wenig Anstrengung.

Vorausgesetzt, es hat wirklich gelesen – das erfahren Sie, indem Sie ihm einige Fragen zum Text stellen. Viel Erfolg!

(Wenn Sie selbst sich die Analyse des Lesens nicht zutrauen, können Sie hier unkompliziert unseren professionellen Service buchen und eine Einschätzung samt persönlichem Förderplan erhalten.)

Weiterlesen

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe. Alle Teile des Themenblocks „Lesegeschwindigkeit“ finden Sie, wenn Sie dieses Schlagwort im Suchfeld eingeben, oder über folgende Liste:

Teil 1: Warum sollte man 150 Wörter pro Minute lesen können?

Teil 2: Wie schnell sollte ein Kind in welchem Schuljahr lesen?

Teil 3: Flüssig lesen kommt von selbst – oder?

Teil 4: Was passiert ohne Leseförderung?

Teil 5: Wie misst man die Lesegeschwindigkeit (WPM) sinnvoll?

Teil 6: Was sagt ein Lesegeschwindigkeits-Test aus?

Teil 7: Warum liest mein Kind zu langsam?

Teil 8: Wie lesen Leseanfänger?

Gute Kinderbücher zum Üben und Erfreuen finden Sie auf meiner Kinderbibliotheksseite.