Was ist so schlecht am Fingerrechnen?
Dass ein zählendes Rechnen ein Irrweg in der Förderung rechenschwacher Kinder ist, bestätigt auch der Mathematikdidaktiker Jens Holger Lorenz in einem aktuellen Fachartikel zum „Fingerrechnen aus didaktischer Sicht“. Obwohl die Finger durchaus ein wichtiges Hilfsmittel im Umgang mit Zahlen in einer bestimmten Entwicklungsphase der arithmetischen Tätigkeit darstellten, so stellten sie eben auch, so Lorenz, ein Hindernis für die Weiterentwicklung und für die Ausbildung starker Rechenstrategien dar.
Das Fingerrechnen gerade im Förderbereich könne nur eine Übergangsphase sein und die Ablösung vom zählenden Rechnen und der Fingermanipulation sei nicht genügend zu betonen.
Von einem verfestigten zählenden Rechnen werde in der Didaktik gesprochen, wenn Kinder am Ende der 1. Klasse und darüber hinaus noch häufig zählende Strategien bei der Lösung von Additions- und Subtraktionsaufgaben einsetzten. Das verfestigte zählende Rechnen könne schon fast als charakterisierendes Symptom rechenschwacher Kinder angesehen werden, das oft bis ins hohe Schulalter bestehen bleibe.
Ein Kind, das zählend rechne, behandle, so Lorenz weiter, Zahlen im Zuge der Zählhandlung nicht flexibel als Zusammensetzungen aus anderen Zahlen (Teil-Ganzes-Beziehung), sondern die verschiedenen Zahlen werden beim zählenden Rechnen unterschiedslos als zusammengesetzt aus lauter einzelnen Einsen betrachtet. Die Rechenzahlen werden gewissermaßen atomisiert, was die Kinder wieder auf das zählende Rechnen festlege.
Für eine Ablösung vom zählenden Rechnen oder Fingerrechnen genüge es nicht, den Kindern vermehrt Veranschaulichungsmaterial zur Verfügung zu stellen, da sie dazu neigten, die neuen Materialien wie die Finger auch zählend zu verwenden. Im Vordergrund müsse vielmehr das operative Durcharbeiten stehen, die Reflexion über die geplanten und durchgeführten Handlungsschritte am Material und die dabei eintretenden numerischen Veränderungen.
Quelle: Lorenz, J.H. (2015): Fingerrechnen: Aspekte aus didaktischer Sicht. In: Lernen und Lernstörungen 4, Heft 3, 195-207